AGNNW - Notfallmedizin in NRW
Fall des Monats Juli 2020
Alarmierungsmeldung Freitag um 21:00 Uhr
Notarzt-Nachforderung durch die RTW-Besatzung vor Ort, männliche Person. Treppensturztrauma mit großer Kopfplatzwunde
Anfahrt: 7 Minuten nach der Alarmierungsmeldung Eintreffen des NEF am Einsatzort, einem 2-geschossigen Haus im Zentrum einer Kleinstadt
Informationen zur Vorgeschichte durch die RTW-Besatzung: Die RTW-Besatzung ist alarmiert worden nach Treppensturz eines 65-jährigen Manns. Der Patient ist in alkoholisiertem Zustand eine 15-stufige steilere Treppe heruntergestürzt und – entsprechend den erkennbaren Blutspuren – vermutlich mit dem Kopf gegen die Kante eines dort befindlichen Eckschranks und anschließend auf den Steinboden geprallt. 2 im Haus anwesende Bekannte des Notfallpatienten halten sich in der ersten Etage des Hauses auf. Die beiden Männer sind alkoholbedingt zu Details des Unfallhergangs nicht auskunftsfähig.
Der Patient wird von der RTW-Besatzung auf dem Boden liegend und ansprechbar vorgefunden. Bei dem Sturz zieht sich der Patient eine schräg verlaufende langstreckigere Skalpierungsverletzung im Scheitelbeinbereich des Schädels zu mit zunächst wohl stärkerer Blutung. Die Notfallsanitäter erhalten bei der Befragung des Mannes zum Unfallhergang und zur aktuellen Schmerzlokalisation alkoholbedingt keine verwertbaren Auskünfte. Sofort wird eine stabilisierende HWS-Orthese angelegt und der Patient unter Rekrutierung von 2 weiteren Hilfspersonen (hilfsbereite Bewohner des Nachbarhauses) vorsichtig auf ein Spineboard gelegt.
Die Skalpierungsverletzung wird bei nachlassender Blutung – so gut es geht – mit einem Kopfverband versorgt. Dann Austausch der HWS-Orthese gegen den Headblock des Spineboards. Der Patient wird anschließend – auf dem Spineboard mit Gurtsystem gesichert – in den RTW transportiert.
Aufgrund der wechselnden Vigilanzzustände des alkoholisierten Patienten, mit auch längeren reaktionslosen Phasen, erfolgt zeitnah die Nachforderung des Notarztes.
Befund bei Eintreffen des Notarztes: Der 65-jährige Patient reagiert auf laute Ansprache mit verwaschener Sprache. Er ist zu den eigenen Stammdaten orientiert. Zum Unfallhergang besteht Amnesie. Der Patient fragt wiederholt nach, was denn passiert sei ?
Der Patient zeigt Unruhezustände und versucht, sich vom Spineboard aufzurichten, was das Gurtsystem des Spineboards verhindert. Erfreulicherweise kann er dann – mit moderater Handanlage – von der Notwendigkeit einer konsequenten Immobilisierung überzeugt werden und wird von der nun erforderlichen Überwachung in der Klinik informiert.
Notärztlicher Untersuchungsbefund und Erstmaßnahmen:
Blutdruck 105/70 mmHg Puls 105 / Min SaO2: 92 %, der Kopfverband zeigt keine neueren frischeren Einblutungen.
Bei der vorsichtigen Palpation sind keine Impressionen oder Konturstufen im Bereich der Schädelkalotte feststellbar.
Keine Blutung aus Nase oder Ohren. Pupillen mittelweit seitengleich. Reaktion auf Licht und Konvergenz vorhanden, aber erkennbar verlangsamt.
Der Patient klagt nun über Rückenschmerzen, die er bei vorsichtiger Palpation des Notarztes im zervikothorakalen Übrgangsbereich und im LWS-Bereich lokalisiert. Die periphere Motorik und Sensibilität und der Reflexstatus der oberen und unteren Extremität sind unauffällig. Bei der Extremitätenuntersuchung mit vorsichtig passiv geführten Arm- und Beinbewegung keine Anhaltpunkte für Extremitätenfrakturen , jedoch Schmerzangabe des Patienten im zervikothorakalen Übergang und LWS-Bereich, Periphere Sensibilität regelrecht.
Die orientierende Untersuchung von Thorax und Abdomen verläuft unauffällig. Keine Beckenistabilität.
Anlage eines intravenösen Zugangs. Blutzucker-Messung: 115 mg/ dl. Infusion von kristalloider Infusionslösung.
Transportplanung: Es wird Kontakt mit der Zentralen Notaufnahme der in 30 Minuten erreichbaren Uni-Klinik aufgenommen.
Nach der notärztlichen Schilderung von Befund und Unfallhergang fragt der diensthabende leitende Arzt der zentralen Notaufnahme, ob bei noch ansprechbarem Patienten mit Schädeltrauma ohne signifikante Minderung des Glasgow-Coma-Scales nicht zunächst ein Schädel-CT in einem wohnortnahen Krankenhaus durchgeführt werden könnte. Schilderungsgemäß handele es sich doch nicht um ein Verletzungsmuster, das unbedingt in einer Klinik der Maximalversorgung erstbehandelt werden müsse.
Was würden Sie nun tun ?
Diskussion läuft in unserem Forum auf: https://www.agnnw.de/?p=4756
Autor: Dr. Gerrit Müntefering ... Sehen Sie mehr